Lauern beim Hund
Lauern beim Hund – Ausdruck, Ursprung und Bedeutung eines oft missverstandenen Verhaltens
Das sogenannte Lauern ist ein Verhalten, das viele Hundehalter:innen schon einmal beobachtet haben – sei es beim gemeinsamen Spiel, im Freilauf oder im Alltag an der Leine. Doch obwohl es auf den ersten Blick spektakulär wirkt, wird seine Bedeutung oft fehlinterpretiert. Ist es Jagdverhalten? Ist es Dominanz? Oder ein Ausdruck von Unsicherheit? In Wahrheit ist das Lauerverhalten ein komplexes Element der hundlichen Kommunikation, das sowohl aus dem arteigenen Sozialverhalten als auch aus spezifischen rassetypischen Veranlagungen resultiert.
1. Definition: Was versteht man unter „Lauern“?
Das Lauern bezeichnet ein spezifisches Bewegungs- und Ausdrucksverhalten, bei dem der Hund sich mit geducktem Körper und hoher muskulärer Anspannung einem Zielobjekt (Hund, Mensch, Tier oder Gegenstand) nähert, dieses fixiert, oft phasenweise einfriert („Freezing“) und mit minimalen Bewegungen voranschreitet. Dabei nutzt der Hund Elemente wie:
- Tiefe Körperspannung
- Stark nach vorn gerichteten Blick (Fixieren)
- Langsame, vorsichtige Bewegungen
- Geduckte Haltung mit abgesenktem Brustkorb
- Vorverlagerung des Körpergewichts
Das Lauern kann verschiedene Funktionen haben – vom Spielverhalten über kontrollierende Maßnahmen bis hin zum Jagd- oder Konfliktverhalten. Entscheidend ist dabei der situative Kontext, in dem das Verhalten gezeigt wird.
2. Ethologische Grundlagen: Das Lauerverhalten als Teil des Beutefangverhaltens
Im ethologischen Sinn ist das Lauern Teil einer natürlichen Beutefangverhaltenssequenz, wie sie bei vielen Carnivoren zu beobachten ist. Diese Sequenz besteht aus verschiedenen, genetisch verankerten Verhaltenselementen, die in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen:
Orientieren → Fixieren → Anschleichen → Lauern → Hetzen → Packen → Töten → Fressen
Bei domestizierten Hunden ist diese Sequenz oft nicht mehr vollständig vorhanden, da sie im Zuge der Domestikation abgeschwächt, unterbrochen oder selektiv züchterisch verstärkt wurde. Insbesondere bei Hütehunden (z. B. Border Collies) ist das Lauerverhalten genetisch hoch selektiert: Hier wird die Beutefangsequenz bewusst unterbrochen – es kommt nicht zum Hetzen oder Packen, sondern nur zum Kontrollieren und Treiben durch Fixieren und Lauern.
Diese Selektion macht sich jedoch auch im Alltagsverhalten bemerkbar: Hunde mit stark ausgeprägtem Lauerverhalten zeigen dieses nicht nur gegenüber Nutztieren, sondern häufig auch gegenüber Kindern, Fahrrädern, anderen Hunden oder fremden Personen – häufig missverständlich interpretiert als aggressiv oder dominant.
3. Lauerverhalten im sozialen Kontext
Neben seiner Rolle im Jagdverhalten kann das Lauern auch eine soziale Funktion haben. Hunde nutzen es, um mit Artgenossen oder auch mit Menschen zu kommunizieren. Dabei lassen sich folgende Kontexte differenzieren:
a) Lauern im Spielverhalten
Im sozialen Spiel zwischen Hunden – besonders bei Welpen und Junghunden – ist das Lauern ein typisches Bestandteil von Spielabläufen. Dabei geht es weniger um Kontrolle als um Inszenierung und Erwartungsspannung. Ein Hund kann sich plötzlich ducken, den Partner fixieren und dann mit einem Sprint zur Spielaufforderung übergehen. Deutlich zu erkennen ist dies an:
- Weicher, lockerer Körperhaltung
- Offener Maulhaltung, leicht wedelnder Rute
- Spielerischer Mimik und Körpersprache
- Wechselspiel zwischen Bewegung und Stillstand
Diese spielerische Variante unterscheidet sich deutlich von einem kontrollierenden oder spannungsgeladenen Lauerverhalten.
b) Lauern als Konfliktverhalten
In angespannten Situationen kann das Lauern auch als eine Art ambivalentes Konfliktverhalten auftreten. Ein Hund, der in einer sozialen Situation unsicher ist oder sich bedroht fühlt, kann in eine „Anschleichhaltung“ verfallen, ohne dabei aggressiv werden zu wollen. Hier handelt es sich oft um ein „eingefrorenes“ Verhalten, das zwischen Flucht und Angriff schwankt. Besonders wichtig ist hier die Bewertung begleitender Körpersignale wie:
- Fixierender Blick
- Angelegte Ohren
- Stark gespannte Muskulatur
- Rute unbeweglich oder leicht zucktend
- Keine begleitenden Spielsignale
Solche Situationen erfordern feines Beobachten und vorausschauendes Management durch den/die Halter:in.
4. Rassetypische Unterschiede und genetische Prädispositionen
Nicht alle Hunde zeigen das Lauerverhalten in gleichem Maße. Je nach Herkunft, Zuchtziel und genetischer Ausstattung sind bestimmte Rassen besonders prädisponiert. Beispiele:
- Border Collie, Australian Shepherd, Kelpie: Stark ausgeprägtes Lauerverhalten im Rahmen des Hütens. Diese Hunde fixieren, ducken sich und bewegen sich kontrollierend auf die „Herde“ zu.
- Deutsche Schäferhunde, Malinois: Können in stressbeladenen Situationen lauerähnliche Bewegungsmuster zeigen, oft im Kontext von Kontrolle und Unsicherheit.
- Laufhunde und Vorstehhunde: Zeigen eher ein „Vorstehen“ als Lauerverhalten, wobei gewisse Überschneidungen bestehen können (z. B. beim „Anpirschen“).
- Spitze und nordische Rassen: Zeigen vergleichsweise selten ausgeprägtes Lauerverhalten, da deren Jagdverhalten meist auf Ausdauer und Spürsinn beruht.
5. Trainingsrelevanz: Wann muss man intervenieren?
Ein gesundes Ausdrucksverhalten braucht Raum, aber auch Grenzen. Wichtig ist:
- Kontextbewertung: Zeigt der Hund das Verhalten aus Spielmotivation, genetischer Arbeitsveranlagung oder als Zeichen von Unsicherheit?
- Selbstbelohnung vermeiden: Wenn das Lauerverhalten in Verbindung mit Jagderfolg steht (z. B. beim Hetzen von Wild oder Joggern), wird es selbstbelohnend verstärkt.
- Alternativverhalten aufbauen: Statt das Lauerverhalten pauschal zu unterdrücken, sollten Ersatzverhalten aufgebaut werden – z. B. kontrolliertes Beobachten mit Belohnung für Unterbrechung des Fixierens.
- Impulse kanalisieren: Besonders bei Hütehunden empfiehlt sich das Angebot von kontrollierten Hüteersatzhandlungen (z. B. Longieren, Impulskontrollspiele, Dummyarbeit).
6. Fazit: Zwischen Instinkt, Kommunikation und Erregungskontrolle
Das Lauerverhalten des Hundes ist ein faszinierendes und vielschichtiges Ausdrucksverhalten, das tief in der Evolution und Genetik unserer Hunde verankert ist. Es kann spielerisch, kommunikativ, kontrollierend oder jagdlich motiviert sein. Umso wichtiger ist ein differenzierter, kontextbezogener Blick: Nicht jedes Fixieren ist ein Problem – aber jeder Einsatz des Lauerverhaltens sollte beobachtet und, falls nötig, begleitet werden.
Hab einen schönen Tag,
Kirsten 🙂
Fachliteratur und Quellen:
- Feddersen-Petersen, D. (2008): Hundepsychologie – Sozialverhalten und Wesen, Emotionen und Individualität.Kosmos Verlag.
- Ganslosser, U., & Küchenhoff, A. (2015): Hundeverhalten – Ausdrucksverhalten, Kommunikation und Körpersprache. Kynos Verlag.
- Horwitz, D., & Mills, D. (Hrsg.) (2009): BSAVA Manual of Canine and Feline Behavioural Medicine. British Small Animal Veterinary Association.
- McGreevy, P., & Boakes, R. (2007): Carrots and Sticks: Principles of Animal Training. Cambridge University Press.
- Bradshaw, J. (2011): Hunde Verstand – Wie sie denken, wie sie fühlen. Goldmann Verlag.
- Yin, S. (2009): Low Stress Handling, Restraint and Behavior Modification of Dogs & Cats. CattleDog Publishing.
- Trumler, E. (2005): Mit dem Hund auf du. BLV Verlag.
- Lorenz, K. (1949): Vergleichende Verhaltensforschung – Grundlagen der Ethologie. Springer.
Lauern beim Hund
Lauern beim Hund – Ausdruck, Ursprung und Bedeutung eines oft missverstandenen Verhaltens
Das sogenannte Lauern ist ein Verhalten, das viele Hundehalter:innen schon einmal beobachtet haben – sei es beim gemeinsamen Spiel, im Freilauf oder im Alltag an der Leine. Doch obwohl es auf den ersten Blick spektakulär wirkt, wird seine Bedeutung oft fehlinterpretiert. Ist es Jagdverhalten? Ist es Dominanz? Oder ein Ausdruck von Unsicherheit? In Wahrheit ist das Lauerverhalten ein komplexes Element der hundlichen Kommunikation, das sowohl aus dem arteigenen Sozialverhalten als auch aus spezifischen rassetypischen Veranlagungen resultiert.
1. Definition: Was versteht man unter „Lauern“?
Das Lauern bezeichnet ein spezifisches Bewegungs- und Ausdrucksverhalten, bei dem der Hund sich mit geducktem Körper und hoher muskulärer Anspannung einem Zielobjekt (Hund, Mensch, Tier oder Gegenstand) nähert, dieses fixiert, oft phasenweise einfriert („Freezing“) und mit minimalen Bewegungen voranschreitet. Dabei nutzt der Hund Elemente wie:
- Tiefe Körperspannung
- Stark nach vorn gerichteten Blick (Fixieren)
- Langsame, vorsichtige Bewegungen
- Geduckte Haltung mit abgesenktem Brustkorb
- Vorverlagerung des Körpergewichts
Das Lauern kann verschiedene Funktionen haben – vom Spielverhalten über kontrollierende Maßnahmen bis hin zum Jagd- oder Konfliktverhalten. Entscheidend ist dabei der situative Kontext, in dem das Verhalten gezeigt wird.
2. Ethologische Grundlagen: Das Lauerverhalten als Teil des Beutefangverhaltens
Im ethologischen Sinn ist das Lauern Teil einer natürlichen Beutefangverhaltenssequenz, wie sie bei vielen Carnivoren zu beobachten ist. Diese Sequenz besteht aus verschiedenen, genetisch verankerten Verhaltenselementen, die in einer bestimmten Reihenfolge ablaufen:
Orientieren → Fixieren → Anschleichen → Lauern → Hetzen → Packen → Töten → Fressen
Bei domestizierten Hunden ist diese Sequenz oft nicht mehr vollständig vorhanden, da sie im Zuge der Domestikation abgeschwächt, unterbrochen oder selektiv züchterisch verstärkt wurde. Insbesondere bei Hütehunden (z. B. Border Collies) ist das Lauerverhalten genetisch hoch selektiert: Hier wird die Beutefangsequenz bewusst unterbrochen – es kommt nicht zum Hetzen oder Packen, sondern nur zum Kontrollieren und Treiben durch Fixieren und Lauern.
Diese Selektion macht sich jedoch auch im Alltagsverhalten bemerkbar: Hunde mit stark ausgeprägtem Lauerverhalten zeigen dieses nicht nur gegenüber Nutztieren, sondern häufig auch gegenüber Kindern, Fahrrädern, anderen Hunden oder fremden Personen – häufig missverständlich interpretiert als aggressiv oder dominant.
3. Lauerverhalten im sozialen Kontext
Neben seiner Rolle im Jagdverhalten kann das Lauern auch eine soziale Funktion haben. Hunde nutzen es, um mit Artgenossen oder auch mit Menschen zu kommunizieren. Dabei lassen sich folgende Kontexte differenzieren:
a) Lauern im Spielverhalten
Im sozialen Spiel zwischen Hunden – besonders bei Welpen und Junghunden – ist das Lauern ein typisches Bestandteil von Spielabläufen. Dabei geht es weniger um Kontrolle als um Inszenierung und Erwartungsspannung. Ein Hund kann sich plötzlich ducken, den Partner fixieren und dann mit einem Sprint zur Spielaufforderung übergehen. Deutlich zu erkennen ist dies an:
- Weicher, lockerer Körperhaltung
- Offener Maulhaltung, leicht wedelnder Rute
- Spielerischer Mimik und Körpersprache
- Wechselspiel zwischen Bewegung und Stillstand
Diese spielerische Variante unterscheidet sich deutlich von einem kontrollierenden oder spannungsgeladenen Lauerverhalten.
b) Lauern als Konfliktverhalten
In angespannten Situationen kann das Lauern auch als eine Art ambivalentes Konfliktverhalten auftreten. Ein Hund, der in einer sozialen Situation unsicher ist oder sich bedroht fühlt, kann in eine „Anschleichhaltung“ verfallen, ohne dabei aggressiv werden zu wollen. Hier handelt es sich oft um ein „eingefrorenes“ Verhalten, das zwischen Flucht und Angriff schwankt. Besonders wichtig ist hier die Bewertung begleitender Körpersignale wie:
- Fixierender Blick
- Angelegte Ohren
- Stark gespannte Muskulatur
- Rute unbeweglich oder leicht zucktend
- Keine begleitenden Spielsignale
Solche Situationen erfordern feines Beobachten und vorausschauendes Management durch den/die Halter:in.
4. Rassetypische Unterschiede und genetische Prädispositionen
Nicht alle Hunde zeigen das Lauerverhalten in gleichem Maße. Je nach Herkunft, Zuchtziel und genetischer Ausstattung sind bestimmte Rassen besonders prädisponiert. Beispiele:
- Border Collie, Australian Shepherd, Kelpie: Stark ausgeprägtes Lauerverhalten im Rahmen des Hütens. Diese Hunde fixieren, ducken sich und bewegen sich kontrollierend auf die „Herde“ zu.
- Deutsche Schäferhunde, Malinois: Können in stressbeladenen Situationen lauerähnliche Bewegungsmuster zeigen, oft im Kontext von Kontrolle und Unsicherheit.
- Laufhunde und Vorstehhunde: Zeigen eher ein „Vorstehen“ als Lauerverhalten, wobei gewisse Überschneidungen bestehen können (z. B. beim „Anpirschen“).
- Spitze und nordische Rassen: Zeigen vergleichsweise selten ausgeprägtes Lauerverhalten, da deren Jagdverhalten meist auf Ausdauer und Spürsinn beruht.
5. Trainingsrelevanz: Wann muss man intervenieren?
Ein gesundes Ausdrucksverhalten braucht Raum, aber auch Grenzen. Wichtig ist:
- Kontextbewertung: Zeigt der Hund das Verhalten aus Spielmotivation, genetischer Arbeitsveranlagung oder als Zeichen von Unsicherheit?
- Selbstbelohnung vermeiden: Wenn das Lauerverhalten in Verbindung mit Jagderfolg steht (z. B. beim Hetzen von Wild oder Joggern), wird es selbstbelohnend verstärkt.
- Alternativverhalten aufbauen: Statt das Lauerverhalten pauschal zu unterdrücken, sollten Ersatzverhalten aufgebaut werden – z. B. kontrolliertes Beobachten mit Belohnung für Unterbrechung des Fixierens.
- Impulse kanalisieren: Besonders bei Hütehunden empfiehlt sich das Angebot von kontrollierten Hüteersatzhandlungen (z. B. Longieren, Impulskontrollspiele, Dummyarbeit).
6. Fazit: Zwischen Instinkt, Kommunikation und Erregungskontrolle
Das Lauerverhalten des Hundes ist ein faszinierendes und vielschichtiges Ausdrucksverhalten, das tief in der Evolution und Genetik unserer Hunde verankert ist. Es kann spielerisch, kommunikativ, kontrollierend oder jagdlich motiviert sein. Umso wichtiger ist ein differenzierter, kontextbezogener Blick: Nicht jedes Fixieren ist ein Problem – aber jeder Einsatz des Lauerverhaltens sollte beobachtet und, falls nötig, begleitet werden.
Hab einen schönen Tag,
Kirsten 🙂
Fachliteratur und Quellen:
- Feddersen-Petersen, D. (2008): Hundepsychologie – Sozialverhalten und Wesen, Emotionen und Individualität.Kosmos Verlag.
- Ganslosser, U., & Küchenhoff, A. (2015): Hundeverhalten – Ausdrucksverhalten, Kommunikation und Körpersprache. Kynos Verlag.
- Horwitz, D., & Mills, D. (Hrsg.) (2009): BSAVA Manual of Canine and Feline Behavioural Medicine. British Small Animal Veterinary Association.
- McGreevy, P., & Boakes, R. (2007): Carrots and Sticks: Principles of Animal Training. Cambridge University Press.
- Bradshaw, J. (2011): Hunde Verstand – Wie sie denken, wie sie fühlen. Goldmann Verlag.
- Yin, S. (2009): Low Stress Handling, Restraint and Behavior Modification of Dogs & Cats. CattleDog Publishing.
- Trumler, E. (2005): Mit dem Hund auf du. BLV Verlag.
- Lorenz, K. (1949): Vergleichende Verhaltensforschung – Grundlagen der Ethologie. Springer.